Kulturraumschutz
Wie lassen sich kulturelle Entwicklungen in Städten mit stadtplanerischen Instrumenten unterstützen?
Diskussion
Im folgenden Diskussionsteil werden Parallelen, sowie die Besonderheiten der einzelnen Fallbeispiele vergleichend gegenübergestellt. Hierbei sollen allgemein gängige Praktiken des Kulturraumschutzes aufgezeigt und die am häufigsten verwendeten Instrumente hervorgehoben werden. Probleme im Kontext der kulturellen Nutzungen werden im darauffolgenden Teil "Kritik" für die jeweiligen Fallstudien beleuchtet und bieten eine Möglichkeit auch über die Schwierigkeiten der Erhaltung, sowie der Förderung dieser Kulturstandorte zu reflektieren. Des weiteren können mithilfe der erlangten Erkenntnisse in den einzelnen Fallstudien auch Überschneidungen mit dem wissenschaftlichen Kontext des Forschungsstandes ersichtlich werden. Als Überblick dient hierzu die Tabelle, sowie die weiteren nachfolgenden Grafiken. Aus den Ergebnissen der Diskussion und dem Aufzeigen von Problemstellungen lassen sich im darauffolgenden Abschnitt schlussfolgernd den für Städte und Kommunen wesentlichen Handlungsspielraum im Bereich der Kulturförderung und des Kulturraumschutzes ableiten.
Gemeinsamkeiten angewandter Instrumente der Fallstudien
Die folgende Tabelle zeigt Überschneidungen in den angewandten Instrumenten der jeweiligen Kulturräume. Die wichtigsten Parallelen ergeben sich u.a. im Bereich der Finanzförderung durch verschiedene Institutionen und Geldgebern, welche sich schlussfolgernd aus einer gemeinsamen finanziellen Hilfsbedürftigkeit der KKW ergeben. So existiert etwa im Gängeviertel in Hamburg ein Verfügungsfond als Anreizinstrument der Städtebauförderung, der Berliner Bodenfond als Finanzstütze von ExRotaPrint, sowie finanzielle Unterstützung im Bereich der Städtebauförderung für das KreativKai und letztlich Fördermittel von EU, Bund und Land für den Erhalt der Zeche Zollverein. Zur übergreifenden Zusammenfassung der wesentlichen Ziele und Maßnahmen kommen in allen Fallbeispielen, mit Ausnahme von ExRotaprint, Konzepte als Planinstrumente oder prozedurale Instrumente zum Einsatz. Dazu gehören Master- & Managementpläne, Stadtentwicklungskonzepte und sonstige Handlungskonzepte.
Ein weiteres oft angewandtes Instrument ist der Erbbaurechtsvertrag. Dieser findet Anwendung im Gängeviertel, bei ExRotaprint und im KreativKai und gewährleistet den Akteur:innen freie Handhabung über einen befristeten Zeitraum. Leitbilder, die der Zusammenfassung der übergeordneten Ziele dienen, finden sich bei allen vier Fallstudien. Einzig der Denkmalschutz stellt bei lediglich zwei der Fallstudien einen wesentlichen Einflussfaktor dar. Im Gängeviertel bildete der Denkmalschutz den Dreh- und Angelpunkt für die Sanierungsmaßnahmen und einer Solidarisierung in den Planungsbemühungen zwischen den beteiligten Akteur:innen, während bei der Zeche Zollverein der Denkmalschutz insbesondere im Rahmen der UNESCO als einer der wichtigsten Ziele der Erhaltung zu tragen kommt. Auch die Gründung der ExRotaprint gGmbH beruhte auf die Unterschutzstellung des Geländes als Denkmal und die daraus resultierende Möglichkeit der Umnutzung. Im Wesentlichen können die aufgezeigten Instrumente demzufolge an vielen Standorten eingesetzt werden, um eine Basis für kulturelle Nutzungen zu schaffen.
Gemeinsamkeiten (allgemein):
Schlussfolgernd ergeben sich aus den angewandten Instrumenten, als auch den allgemeinen Herausforderungen bei der Etablierung und Wahrung der Kulturstandorte die folgenden Punkte:
- Finanzielle Hilfsbedürftigkeit der KKW
- Platzbedarf und Raumverfügbarkeit
- Gefahr der Gentrifizierung/ Gefahr der Rückkopplung (Verlust der Kreativität und Kommerzialisierung)
- Ziel des Bottom-Up Verfahrens
- Zentrale Koordination (z.B. durch Stiftungen)
Kritik
Handlungsempfehlungen
Kultur ist in hohem Maße identitätsstiftend und somit ein wichtiger Image- und Wirtschaftsfaktor für Städte (vgl. Kunzmann 2006: S. 3). Bei der vertieften Arbeit an den vorgestellten Fallstudien ist klar geworden, wie wesentlich und wichtig dabei die Stadtplanung ist. Städte und Kommunen haben eine aktive und vermittelnde Rolle bei der Entstehung von kulturellen und kreativen Prozessen. Jedoch auch Raum, ihre Handlungsfähigkeit weiter auszubauen, besonders in Bezug auf die Gestaltungsoptionen von Grund und Boden (Vgl. Difu 2020: S. 8)
In den verschiedenen Fallbeispielen sind unterschiedliche Instrumente aufgefallen. Fünf besonders effektive Instrumente zum Schutz von kulturellen Räumen werden hier vorgestellt.
Immobilienkataster für kulturelle Nutzungen
Mit Blick auf den hohen Bedarf nach Räumlichkeiten drängt die Notwendigkeit, konkrete Immobilien und Flächen zu identifizieren, die sich für kulturelle Nutzungen eignen. Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik sollte daher auch eine transparente Liegenschaftspolitik anstreben. Dies setzt zunächst eine bedarfsorientierte Bestandsaufnahme voraus. Hier bietet es sich an, Städte einer Clusterung zu unterziehen, um zu prüfen, welche Objekte gegenwärtig oder künftig kulturell genutzt werden können. Wichtig ist dabei, Akteur:innen der Kultur- und Kreativszene am Prozess zu beteiligen, um spezielle Nutzungsanforderungen formulieren zu können. Ferner bei der Vergabe von Liegenschaften demokratische Instrumente anzuwenden, die auch die Zivilgesellschaft mit einbeziehen (vgl. Novy-Huy tel. 13.01.2021). Darüber hinaus kann die Einrichtung eines Bodenfonds erwägt werden, der strategische Immobilienkäufe tätigt und so die Verwaltungshoheit von Städten und Kommunen ausbaut (vgl. Difu 2021: S. 107). Die erworbenen Objekte können dann etwa mittels Erbbaurecht und inkludierten Nutzungsbestimmungen vergeben werden.
Planungskooperation und Beteiligungsverfahren
Transparenz zwischen Verwaltung/Politik und den lokalen Akteur:innen ist äußerst wichtig, um potenzielle Konflikte zu verhindern und Vertrauen aufzubauen (vgl. Difu 2021: S. 40). Für eine gute Zusammenarbeit sollten daher Interessengemeinschaften in die Planung mit eingebunden werden und Vertreter:innen der Kultur- und Kreativwirtschaft als Expert:innen Mitglieder von verfahrensbegleitenden Beratungsgremien sein. Interdisziplinäre Planungsteams können dabei eine gesteigerte Akzeptanz und Identifikation erwirken (vgl. Stadt Köln 2020: S. 109 ff.). Ein übergeordnetes und transparentes Konzept der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie spezifische, bedarfsgerechte Beteiligungsformen ermöglichen diese Vorhaben. Durch eine geeignete Form der Öffentlichkeitsarbeit können grundlegende Entscheidungen verständlich und offen nach Außen getragen werden. “Die aufgeklärte Stadtöffentlichkeit will nicht nur informiert werden, sondern aktiv an der Meinungsbildung teilnehmen.” (Difu 2021: S. 41)
Sobald der Beteiligungsprozess in der Entstehungsphase durchgeführt ist, gilt es, weiterhin spezifische Formen der Beteiligung anzuwenden, um allseits zufriedenstellende Lösungen auch mit zukünftigen Akteur:innen zu ermöglichen (vgl. Stadt Köln 2020: S. 109 ff.).
Erbbaurecht
Eine weitere Handlungsempfehlung ist der Erbbaurechtsvertrag. Für eine Stadt, die mit Wachstum und zunehmender Flächen Verknappung zu kämpfen hat, bietet der Vertrag eine langfristige Sicherung von gesellschaftlich wichtigen kulturellen Räumen und Angeboten und kann rasant steigenden Mietpreisen und Grundstücksspekulationen für die Vertragsdauer entgegenwirken (vgl. Stadt Köln 2020: S. 108 ff.). Es müssen dafür die Grundstücke definiert werden, welche als Erbbaurecht vergeben werden sollen, zudem sind Fachämter und Fachausschüsse aus den Bereichen Kunst und Kultur zu beteiligen, wenn es sich um eine Nutzung durch Kulturschaffende handelt. Es ist von Vorteil, vor Ort bestehende Vereine und Akteure bei Nutzungsideen frühzeitig einzubeziehen und diese über Möglichkeiten der Mitgestaltung zu informieren.
Der Erbbaurechtsvertrag kann sowohl als Absicherung kultureller Nutzungen dienen als auch die kommunale Steuerungsmöglichkeit im Bereich der Vergabe maximieren (vgl. Stadt Köln 2020: S. 108 ff.). Der/Die Erbbaurechtsgeber:in kann sich auf konstante Einnahmen verlassen. Nach dem Ende der Vertragslaufzeit kann er/sie wieder selbst über das Grundstück verfügen oder, wie oft üblich, den Vertrag verlängern. Somit eignet sich diese Position für Städte und Kommunen, die auf diese Weise die Verwaltungshoheit über ihren Boden behalten und entwicklungspolitische Ziele absichern können (vgl. Brahm/Schliesser 2014: 16). Ein weiterer positiver Aspekt ist, bezahlbare Mieten für Wohnungen sichern zu können (vgl. Stadt Hamburg o.J.). Zudem ermöglicht der Erbbaurechtsvertrag Erhalt und Entwicklung eines Projekts über mehrere Generationen und erlaubt Selbstverwaltung und Gestaltungshoheit (vgl. Stadt Köln 2020: S. 108 ff.).
Nachteile, die der Erbbaurechtsvertrag mit sich bringt, sind unter anderem ein Dauerschuldverhältnis. Zahlungen fallen so lange an, wie der Vetrag läuft. Zudem kann eine Änderung des Verkehrswert des Grundstücks den Erbpachtzins erhöhen. Ein weiterer Aspekt ist, dass es kein generelles Recht auf Verlängerung gibt und durch eine Verlängerung kann eine höhere Zinsvereinbarung anfallen (vgl. Schmid 2020).
Gemeinnützige Stiftungen
Die gemeinnützige Stiftung ist eine interessante neue Partnerin. Neben der Stadt können auch Stiftungen Erbbaurechtsverträge abschließen. So etwa im Fallbeispiel ExRotaprint, wo eine Kooperation mit den Stiftungen trias und Edith Maryon zustande kam, die gezielt Immobilien und Boden erwerben, diesen an gemeinnützige Projekte vergeben und so grundsätzlich wieder allen Menschen zugänglich machen (Stiftung trias 2021), wodurch sie aktiv zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen. Auf diese Weise bleiben auch die Erbbauzinsen Teil eines solidarischen Kreislaufs, da diese von den Stiftungen in immer neue Projekte investiert werden (Brahm 2020). Weitere Zwecke können die Förderung von Kultur und Denkmalpflege sein, wie sie die Stiftung Zollverein erfüllt (Stiftung Zollverein 2021). Im § 52 in der AO wird der gemeinnützige Zweck wie folgt definiert: “Wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern” (Martin o.J.). Die Gemeinnützigkeit ist somit auch vorteilhaft seitens der Erbbaurechtsnehmer:innen (vgl. Novy-Huy tel. 13.01.2021). Ein weiterer Vorteil, mit einer gemeinnützigen Stiftung zusammen zu arbeiten ist das im Falle eines Scheiterns des Projekts das Gelände nicht einer Bank gehören würde, sondern der Stiftung (vgl. ExRotaprint gGmbH 2016: 27). Somit sorgt die gemeinnützige Stiftung, stellvertretend für die Stadt, dafür, dass der Boden nicht in Immobilienspekulationen gerät.
Berücksichtigung von Nebenwirkungen
Bei der Entstehung von kulturellen Projekten gilt es, mögliche Konsequenzen mitzudenken und gegebenenfalls Maßnahmen zu entwickeln. Die Gentrifizierung des angrenzenden Quartiers etwa ist eine häufige Begleiterscheinung von kultureller Aufwertung, die sich nur schwer vermeiden lässt. Denn dem Prozess der physischen Aufwertung des Gebäudebestands, gefolgt von Veränderungen in den Besitzverhältnissen, Mietsteigerungen und der allmählichen Verdrängung der bestehenden Bewohner:innen durch höhere Einkommensgruppen, geht oftmals eine symbolische Aufwertung voraus (vgl. Colomb 2012: S. 144). Besonders Zwischennutzungen stehen dabei vor dem Dilemma, dass sie vielerorts unwillkürlich den Weg für konventionelle, kommerzielle Nutzungen ebnen und dann gezwungen sind, sich zu transformieren, umzuziehen oder ganz zu verschwinden (vgl. Colomb 2012: S. 145). Dies macht es vor allem von politischer und planerischer Seite her notwendig, den Akteur:innen der Kultur- und Kreativwirtschaft bezahlbare Räume zur Verfügung zu stellen, um die täglichen Bedingungen herzustellen und zu erhalten, die nötig sind, um den kreativen Prozess an sich zu erhalten. Ferner muss gewährleistet werden, dass die Bevölkerungsstruktur und der Wohnungsbestand der umliegenden Quartiere gesichert wird, etwa wie in der Fallstudie KreativKai, wo der Haupt- und Finanzausschuss die Aufstellung einer “Sozialen Erhaltungssatzung” beschloss, die es per Baugesetzbuch ermöglicht, Modernisierungsprozesse zu unterbinden (vgl. Stadt Münster 2020).
Schlusswort
Kulturelle und künstlerische Prozesse sind divers und komplex. Das Vorhandensein von nutzbaren Räumlichkeiten kann dennoch verallgemeinerbar als unverzichtbare Grundvoraussetzung genannt werden (vgl. Stadt Köln 2020: S. 144). Angesichts der Dynamiken des Immobilienmarktes wird somit eine gemeinnützige Bodenpolitik zur Schlüsselkompetenz für nachhaltigen Kulturraumschutz. Besonders vorhandene rechtliche Instrumente wie das Erbbaurecht müssen von Städten konsequenter genutzt werden, um die kommunale Selbstverwaltung und den damit verbundenen Gestaltungsauftrag wahrnehmen zu können (vgl. Bunzel 2021). So können Städte ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl gerecht werden und die kulturelle Daseinsvorsorge langfristig sichern.
Stiftungen sind eine hinzukommende Alternative. “Sie finanzieren Modelle für öffentliche-private Partnerschaften und sie moderieren den Dialog zwischen den unterschiedlichen Akteuren.” (Bischoff et al. 2010: 13). Damit bilden sie ein gutes Bindeglied zwischen den Interessen der Kunstschaffenden, der Zivilgesellschaft und der Stadt (vgl. ebd.: 13).
Quellenverzeichnis
Bischoff, Antje/Breiholz, Breiholz/Bühner, Sebastian/Merai, Karolina/Netzhammer, Michael (2010): Die Stadt lebt. Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln.
Brahm, Daniela (24.11.2020): Interview mit Daniela Brahm – ExRotaprint. https://www.youtube.com/watch?v=2-nKFJxzSTo, Zugriff 06.02.2021
Brahm, Daniela/Schliesser, Les (2014): Wie funktioniert das Erbbaurecht? ExRotaprint Nachrichten, Nr. 5.
Brahm, Daniela/Schliesser, Les/Clemens, Oliver/Boeck, Julia/Borgemeister, Heike (2016): anderes Geld, ExRotaprint Nachrichten.
Bunzel, Arno (2021): Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Urbanistik: Bodenpolitik wird für Kommunen zum Schlüsselinstrument der Stadtentwicklung, 12.02.2021
Colomb, C. (2012). Pushing the Urban Frontier: Temporary Uses of Space, City Marketing, and the Creative City Discourse in 2000s Berlin. Journal of Urban Affairs, 34(2), 131-152.
Difu (2021). Luise Adrian, Arno Bunzel, Daniela Michalski, Ricarda Pätzold: Aktive Bodenpolitik: Fundament der Stadtentwicklung. Bodenpolitische Strategien und Instrumente im Lichte der kommunalen Praxis, Berlin 2021 (Difu-Sonderveröffentlichung)
Kunzmann, Klaus R. (2006). In: APuZ. (2006). Kulturwirtschaft (Vol. 34-35). Berlin: Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29578/kulturwirtschaft (verschiedene Aufsätze enthalten)
Martin, Jörg (o.J.): Was ist eine gemeinnützige, was eine privatnützige Stiftung?. https://www.stiftungsagentur.de/glossar/gemeinnuetzige-stiftung, Zugriff 12.02.2021
Stadt Hamburg (o.J.): Erbbaurechtsvertrag. https://www.hamburg.de/gaengeviertel/vertrag/, Zugriff 11.02.2021
Schmid (2020): Schmid, Eva Dorothée (2020): Wohnglück - Plane. Baue. Lebe. Erbbaurecht: Vorteile und Nachteile der Erbpacht. https://wohnglueck.de/artikel/erbbaurecht-vorteile-nachteile-erbpacht-33187, Zugriff 11.02.2021
Stadt Köln (2020): Stadt Köln (2020): Studie zur Integration von Kreativräumen und kulturellen Raumbedarfen in die Stadtplanung. Köln: Kulturamt Stadt Köln.