Wohnformen und Bautypologien in Suburbia
Zwischen Ausdifferenzierung und Monotonie
Charlott Albertsmeyer I Lea Gründer I Vincent Völker
EINLEITUNG
In Zeiten einer augenscheinlich großflächigen “Reurbanisierung” stehen die Großstädte im Mittelpunkt des stadtplanerischen sowie sozialwissenschaftlichen Interesse. Weniger Beachtung finden hingegen die Siedlungsstrukturen an den Randbereichen bzw. im Umland der großen Städte,welche im wissenschaftlichen Diskurs zumeist unter Begrifflichkeiten „suburbaner Raum“, „Suburbia“ oder „Zwischenstadt“ geführt werden. (Kiesler & Keller 2019: 55) Wie aber steht es um die Suburbanisierung und hierbei im Speziellen um die Situation und die Entwicklungen der Wohntypologien im suburbanen Raum?
HERLEITUNG & FORSCHUNGSSTAND
Suburbanisierung - definitionsgemäß hervorgerufen durch die Randwanderung von Wohnbevölkerung ebenso wie von Industrie und Gewerbe, Handel und Freizeit an den Stadtrand und darüber hinaus - kennzeichnet ein zentrales Element der Stadtentwicklung des 20. Jahrhunderts in der Mehrzahl der industrialisierten Länder (Hesse 2018: 2631). Dies gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland, wo in den 1960er und 1970er Jahren ein erster Höhepunkt der Suburbanisierung und in den 1990er Jahren eine erneute Hochphase auszumachen ist. In wohnbaulicher Hinsicht lassen sich in dieser Zeit vor allem zwei zentrale Ausprägungsformen ausmachen (Jessen 2001: 317). Auf der einen Seite stehen dabei „Neubaugebiete“ mit Einfamilienhäusern, in welchen sich vor allem junge Familienhaushalte der Mittelklasse als “traditionelle Suburbaniten” (Polívka 2016: 11) ansiedelten und dort ihren Wohnwunsch nach einem ruhigen und familienfreundlichen Wohnen im Grünen, als Alternative zum Wohnen in den Kernstädten sowie den verdichteten Stadterweiterungen, verwirklichten. Sie befanden sich in aller Regel in vergleichbaren Lebensabschnitten und folgten ähnlichen Lebensentwürfen, in deren Mittelpunkt die von der Frau umsorgte Kleinfamilie und die Erwerbstätigkeit des Mannes standen. (Wüstenrot-Stiftung 2012: 7) Auf der anderen Seite steht die Tradition des sozialen Wohnungsbaus in Form von Großwohnsiedlungen, die meist als Teil von Stadterweiterungen „auf billigen Flächen an der Peripherie“ (Siebel 2005: 1137) zum Suburbanisierungsprozess beitrugen (Jessen 2001: 317; Siebel 2005: 1137). Die Spaltung Deutschlands in Ost und West erzeugte zwei konträre städtische Wachstumsmodi im Kontext der räumlichen Dekonzentrationsprozesse und Ausdehnung der Agglomerationen in den Nachkriegsjahrzehnten (Jessen 2001: 318).
Im 21. Jahrhundert stellt sich die Situation verändert dar. Suburbia ist gereift und es zeigen sich lebenszyklusspezifische und sozialstrukturelle Herausforderung in den Bestandsgebiete aus der zweiten Hälfte des 20: Jahrhunderts. Zudem enstehen durch Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung und einem generellen Wandel der Lebensstile auch im suburbanen Raum neue Anforderungen an den Wohnraum. (Roost 2018: 320) Im Ergebnis drängen sich damit unterschiedliche planerische Herausforderungen und Aufgabenstellung auf, in deren Kontext eine differenzierte Betrachtung der wohnbaulichen Strukturen von Bedeutung ist.
Fragestellung und Zielsetzung
Vor dem Hintergrund der oben genannten Entwicklungen wurde eine differenzierte Betrachtung der wohnbaulichen Typologien des suburbanen Raums auf Grundlage baulicher, demografischer und sozialstruktureller Merkmale durchgeführt. Die Leitfrage lautete daher:
“Welche Siedlungs-/Quartierstypologien gibt es in Suburbia und wie zeichnen sich diese in baulicher, demografischer sowie sozialer Hinsicht aus?” (Wer wohnt wo, wie in Suburbia?)
Um die unterschiedlich ablaufenden Suburbanisierungsprozesse in Ost- und Westdeutschland untersuchen zu können wurden als Untersuchungsgebiete die suburbanen Räume der Großstädte Dresden und Bremen ausgewählt. Neben ihrer geografischen Lage (Ost- & Westdeutschland) wurden die beiden Städte auch aufgrund ihrer ähnlichen Einwohnerzahl ausgewählt. Somit ergibt sich eine höhere Vergleichbarkeit.
BEGRIFFSDEFINITIONEN
Betrachtungsebenen
Die Untersuchung wurde auf zwei Ebenen durchgeführt. Zum einen wurden auf der Makroebene das suburbane Umland, die suburbanen Stadtteile und die Innenstadt im Sinne von “Raumcontainern” vergleichend betrachtet. Zum anderen wurden auf der Mesoebene Einfamilienhausgebiete und Großwohnsiedlungen als wesentliche Siedlungstypen fokussiert und differenziert betrachtet, um die Zusammenhänge zwischen Bautypologie und Sozial-/Demografiestruktur nähergehend zu untersuchen.
Abb. 1: eigene Darstellung. Betrachtungsebenen.
Urbane und Suburbane Stadtteile
Suburbanes Umland Bremen (links) & Dresden (rechts)
Abbildung 2: Eigene Darstellung: Urbaner und suburbane Stadtteile. Eigene Darstellung
Abbildung 3: Eigene Darstellung: Suburbane Umlandgemeinden gemäß BBSR Großstadtregion. Grundlage Google Earth.
Suburbaner Raum
Welche Stadt- bzw. Ortsteile der zu untersuchenden Städte zum suburbanen Raum zählen wurde anhand der Kriterien Lage, Nutzung und Baustruktur festgelegt (Hoffmeyer-Zlotnik 2001:3ff). Demnach wurden alle Stadtteile, die 4 Kilometer vom Stadtzentrum (Marktplatz) entfernt liegen, eine aufgelockerte Bebauungsstruktur, sowie eine eher geringe Nutzungsmischung aufweisen dem suburbanen Raum zugewiesen. Als Raumkulisse für Suburbia jenseits der administrativen Stadtgrenzen (Umland) wird das Modell der Großstadtregionen des BBSR zugrunde gelegt. Dieses bildet mittels Pendlerdaten die Stadt-Umland-Verflechtungen der Großstädte ab. Abgegrenzt werden ein Ergänzungsgebiet zur Großstadt sowie zwei Pendlereinzugsbereiche, aus denen mind. 50 bzw. 25 bis 50% der Auspendler in die Kernstadt und ihr Ergänzungsgebiet pendeln. Als suburban werden im Rahmen dieser Untersuchungen das Ergänzungsgebiet und der engere Pendlerverflechtungsraum angesehen. (BBSR 2020, Münter 2014: 25f.)
Einfamilienhausgebiete
Suburbane Einfamilienhausgebiete werden im Rahmen der Untersuchungen allgemein als “Neubaugebiete” definiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Rand- und Verflechtungsbereichen der Großstädte entstanden sind.
Auf der Grundlage dieser theoretischen Ausgangslage erfolgte die Operationalisierung von suburbanen Einfamilienhausgebieten nach Angaben des Zensus 2011. Im Zuge dessen wird ein 1km²-Raster aus dem Datensatz dann als suburbanes Einfamilienhausgebiet gewertet, wenn sich mehr als 2/3 des Wohnungsbestands in einem Ein- oder Zweifamilienhaus befinden und mehr als 2/3 des Gebäudebestands nach dem Jahr 1948 entstanden ist. Zudem wurden mittels GIS durch Sichtung von Satellitenaufnahmen statistische Sonderfälle (z.B. Aussiedlerstrukturen) herausgefiltert.
Großwohnsiedlungen
Die Auswahl der Großwohnsiedlungen erfolgte anhand der detaillierten Sichtung von Luftbildern. Dabei wurde insbesondere auf die Baustruktur geachtet.
HYPOTHESEN
Hypothese 1: Einfamilienhausgebiete werden oftmals als dominante suburbane Wohnform hervorgehoben, zugleich wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass das bauliche Spektrum breiter ist. Dennoch gestalten sich suburbane Räume in ihrer Struktur und Bebauung monoton, da die Typologien räumlich konzentriert sind.
Hypothese 2: Einfamilienhausgebiet ist nicht gleich Einfamilienhausgebiet, die Sozial- und Demografiestruktur variiert je nach Entstehungskontext und Lage.
Hypothese 3: Die Sozial- und Demografiestruktur in Großwohnsiedlungen variiert deutlich weniger als in Einfamilienhausgebieten. Dies liegt darin begründet, dass viele der Bewohner:innen von Großwohnsiedlungen aus wirtschaftlichen Gründen und nicht aus einem Wunsch heraus diese Typologie wählen.
Hypothese 4: Die sich ändernden Ansprüche an Wohnraum spiegeln sich in einer diverseren Bautätigkeit in Suburbia im 21. Jahrhundert wieder.
METHODIK
Zur Untersuchung und Überprüfung der aufgestellten Hypothesen wird eine Auswertung der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2011 sowie von Geo- und Sozialdaten der microm GmbH vorgenommen. Diese Daten liegen in Form eines 1km²-Rastergitters für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor. In einem ersten Schritt erfolgte dabei mittels GIS die Verschneidung der 1km²-Raster mit den definierten suburbanen Zonen. Daran anschließend wurden in Excel die verschiedenen Datensätze zusammengeführt und im Rahmen dessen die “rohen” Rastergitter mit Angaben des Zensus und des Microm-Geogrid angereichert. Die statistische Auswertungen und Berechnungen wurden dann mit dem Programm SPSS durchgeführt.
Abbildung 4: Eigene Darstellung. 1kmx1km Raster
ERGEBNISDISKUSSION
Baualtersklassen
Bei der Analyse der Baualtersklassen (siehe Abb. 6 und 7) konnten wesentliche Unterschiede zwischen dem suburbanen Raum Bremen als westdeutsche Suburbia und dem suburbanen Raum Dresden als ostdeutsche Suburbia festgestellt werden.
Ein markanter Unterschied in den Entwicklungen der beiden suburbanen Gebiete kann in den Nachkriegsjahrzenten beobachtet werden (1949-78). Während die Suburbanisierungsprozesse in Bremen eine erste Hochphase erreichten und ca. 53% der Gebäude aus diesem Zeitraum stammen, macht in der Dresdener Suburbia diese Baualtersklasse mit lediglich knapp 10% nur einen untergeordneten Anteil aus.
In den 1980er Jahren (1979-90) hingegen lässt sich in beiden suburbanen Räumen eine Phase verlangsamter Siedlungsentwicklung beobachten. In den 1990er Jahren erreicht die Suburbanisierung in Bremen einen zweiten Höhepunkt. Zudem kann in Dresden in den 1990er Jahren von einer nachholenden Suburbanisierung gesprochen werden. Knapp 20% des Gebäudebestands stammt hier aus dieser Zeit. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Bremer Suburbia maßgeblich von Gebäuden aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt wird, wohingegen in Dresden die Baustrukuren vor allem aus der Vorkriegszeit und aus den 1990er Jahren stammen. Dies kann vor allem darauf zurückgeführt werden, dass „Suburbanisierung, verstanden als marktvermittelter Prozess und zunehmende räumliche Verflechtung zwischen Kernstadt und Umland, [..] in der ehemaligen DDR nicht stattgefunden [hat].“ (Jessen 2001: 324)
Abbildung 5: Eigene Darstellung. Angaben gemäß Zensus 2011.
Abbildung 6: Eigene Darstellung. Angaben gemäß Zensus 2011.
Hypothese 1 - Einfamilienhäuser als dominante suburbane Wohnform?
Die Analyse des Bestandes bezüglich der Wohnungen in Gebäuden (siehe Abb. 7 und 8) zeigt auf, dass sich in beiden Städten im suburbanen Raum die meisten Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern befinden, wobei in Bremen der Anteil mit einem Wert von ca. 75% höher ist, als in Dresden wo diese Kategorie einen Wert von etwa 60% aufweist. Der Anteil an Wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit mehr als 13 Wohnungen ist in beiden Städten am geringsten.
Abbildung 7: Eigene Darstellung. Angaben gemäß Zensus 2011.
Abbildung 8: Eigene Darstellung. Angaben gemäß Zensus 2011.
In Bremen gibt es deutlich mehr Gebiete mit einem hohen Anteil (über 75%) an Ein- und Zweifamilienhausgebieten , welche zudem räumlich deutlich konzentrierter sind als in Dresden (vgl. Abb. 9) . Zudem sind die Gebiete in den Bremer Umlandgemeinden größer. Im Gegensatz dazu ist die Zahl an Großwohnsiedlungen in Dresden deutlich höher als in Bremen. Auch hier zeigt sich, dass die Suburbanisierungsprozesse in West- und Ostdeutschland unterschiedlich verlaufen sind. In den westdeutschen Städten zeichnete sich die Suburbanisierung mehr über die Entwicklung von Einfamilienhausgebieten aus, wohingegen es in Ostdeutschland, verstärkt zum Bau von Großwohnsiedlungen und Mehrfamilienhäusern kam.
Bremen
Dresden
Abbildung 9: Eigene Darstellung. Angaben gemäß Zensus 2011, Grundlage Google Earth
Hypothese 2 - Einfamilienhausgebiet ist nicht gleich Einfamilienhausgebiet
Auf der Grundlage der oben beschriebenen Operationalisierung ergeben sich für den Untersuchungsraum Bremen 487 und für den Raum Dresden 86 auswertbare Raster (siehe Abb.10). Hier lässt sich bereits ein quantitativer Unterschied erkennen, der vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Einfamilienhausgebiete in Dresden in ihrer jeweiligen Ausdehnung kleiner sind und sich damit im Kontext des 1km² Rasters weniger auswertbare Strukturen ergaben. Demgegenüber sind in Bremen die Einfamilienhausgebiete in größerer Ausdehnung um die historischen Strukturen gewachsen. Dies ist kann auf die unterschiedlich verlaufenden Suburbanisierungsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgeführt werden.
Die Auswertung der Baualtersklassen (ab 1949) zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen dem Untersuchungsraum Bremen als westdeutsche Suburbia und Dresden als ostdeutsche Suburbia. In Bremen sind die Baualtersklassen stärker verteilt, gleichwohl sich ein Dominanz der Baualtersklasse 1949 bis 1978 zeigt. Zudem ist ein weiterer Anstieg in den 1990er Jahren zu erkennen. Diese Werte stehen im Zusammenhang mit Entwicklungsverläufen der Suburbanisierung die in Bundesrepublik Deutschland einen ersten Höhepunkt in den 1960er und 1970er Jahren und einen zweiten, kleineren in den 1990er Jahren erreichte. In Dresden spielten in den Nachkriegsjahrzehnten der Einfamilienhausbau eine nur untergeordnete Rolle. Dafür zeigt sich eine hohe Dynamik in den 1990er Jahren nach der politischen Wende. Im wissenschaftlichen Diskurs wird diesbezüglich oftmals von einer “nachholenden” Suburbanisierung bzw. einer Suburbanisierung im “Zeitraffer” gesprochen.
Identifizierte Einfamilienhausgebiete
Abbildung 10. Eigene Darstellung gemäß Zensus 2011. Grundlage Google Earth.
Abbildung 11. Eigene Darstellung gemäß Zensus 2011.
Abbildung 12. Eigene Darstellung gemäß Zensus 2011.
Die Auswertung der Demographie- und Sozialstruktur lässt in Bremen und Dresden Alterungs- und Ausdifferenzierungsprozesse erkennen. In beiden Städten steigt vor allem der Anteil an Ein- und Zweipersonenhaushalten. Neben dem Auszug der Kinder bei den Erstbewohnergenerationen verändern sich die Haushaltsformen im suburbanen Raum auch durch Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung und einen generellen Wandel der Lebensstile.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Räumen besteht im Hinblick auf die Kaufkraft pro Haushalt und dem Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Die Haushalte der Bremer Einfamilienhausgebiete besitzen im Allgemeinen eine deutlich höherer Kaufkraft, als die Dresdner (auch wenn diese in den letzten Jahren angestiegen ist). Während in Bremen zunehmend Menschen unterschiedlicher Herkunft als Nachfrager auftreten und sich damit eine soziale Ausdifferenzierung erkennen lässt, zeigt sich dies in den Dresdner Einfamilienhausgebieten (bislang noch) nicht.
Abbildungen 13-19. Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH.
Im weiteren Verlauf erfolgte eine Fokussierung, indem Einfamilienhausgebiete in der Bremer Suburbia differenziert nach Bauepochen untersucht wurden. Dabei wurden zwischen Gebieten aus den 1950er- bis 1970er-Jahren (Baujahre 1949 bis 1978), Gebieten aus den 1980er- und 1990er-Jahren (Baujahre 1979 bis 2000) und Gebiete aus den 2000er (Baujahre ab 2001) unterschieden. Im Interesse der Untersuchungen standen auch hier die Entwicklungen der Altersgruppen, Haushaltsformen, Kaufkraft pro Haushalt sowie des Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund für die Betrachtungsjahre 2005 und 2017. Die Identifikation der jeweiligen Gebiete erfolgte dabei zum einen mittels der Angaben des Zensus 2011 durch das Kriterium, dass ein bestimmter Anteil des Gebäudebestands aus der jeweiligen Baualtersklasse stammen muss. Vor dem Hintergrund der Datenlage wurden für die Gebiete aus den 1950er- bis 1970er Jahren der Wert >3/4 und für die Gebiete aus den 1980er- und 1990er-Jahren der Wert > 2/3 gewählt. Ergänzend hierzu wurde mittels der Geodaten der microm GmbH nur Raster gewertet, in denen der Wohngebäudebestand zwischen 2011 bis 2017 maximal um 10% gestiegen ist. Bei den Neubaugebiete aus den 2000er-Jahren wurde ebenfalls der Wert von >3/4 ausgewählt und zudem manuell Nachjustierung vorgenommen.
Abbildung 20: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH.
Die Auswertungen für die Gebiete aus den 1950er- bis 1970er-Jahren lassen auf eine Umbruchphase mit einem generellen Alterungsprozess und einem Bewohnerwechsel hindeuten. Während im Jahr 2005 der Anteil an Personen ab 65 Jahren noch bei 19,6% lag, ist dieser im Jahr 2017 auf 24,2% angestiegen. Diese Entwicklung können in gewisser Weise als Spätfolge der ersten Hochphase der Suburbanisierung in den 1960/70er Jahren gedeutet werden, da die Personen, die damals als junge Familien sich in den “Neubaugebieten” ansiedelten, mittlerweile das Seniorenalter erreicht haben. Teile von ihnen wohnen vermutlich in Form von Zwei- und später Einpersonenhaushalten noch in ihren Eigenheimen. Zugleich zeigt sich zwischen 2005 und 2017 eine Zunahme der Bevölkerungszahlen sowie ein Anstieg des Anteils an Familienhaushalten, was auf einen Generationswechsel hindeutet. Neben diesen erkennbaren Grundtrends zeigt sich insgesamt eine Heterogenität im Hinblick auf die Altersstruktur und die Haushaltsformen. Dies könnte zum einem an der Datenlage liegen, da die Baualtersklasse mit 30 Jahren recht breit gefasst ist. Zum anderen könnte ein inhaltlicher Erklärungsansatz für die Heterogenität darin begründet liegen, dass sich die Umbruchphase in diesen Gebieten (anders als die Errichtung) nicht „schlagartig“, sondern langsamer über mehrere Jahrzehnte hinweg vollzieht, wodurch sich im zweiten Nutzungszyklus eine heterogene Struktur mit weniger extremen Dominanzen ergibt. Zudem zeigen verschiedene andere Studien, dass sich die Nachfragergruppen entsprechend der demographischen Entwicklungen und gewandelter Lebensstile verändert und neben jungen Familien als traditionelle Eigenheimer nun auch zunehmend kinderlose Paare und Menschen unterschiedlicher Herkunft hinzukommen (Polivka 2016: 11). Letzteres kann auch durch die Auswertungen bestätigt werden. So ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund im Betrachtungszeitraum von 2,9% auf 6,3% gestiegen, wodurch eine soziale Ausdifferenzierung einhergeht.
Abbildungen 21-23: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH.
Bei den Auswertungsergebnisse für die Gebiete aus den 1980er und 1990er Jahren ist vor allem ein deutlicher Rückgang an Familienhaushalten und analog dazu ein Anstieg an Zweipersonenhaushalte zu verzeichnen, welche im Jahr 2017 mit 43% die dominierende Haushaltsform in diesen Gebieten darstellt. Dies kann in dem Erwachsen-Werden und Ausziehen der Kinder begründet liegen, wodurch sich diese Gebiete verstärkt in der sogenannten Empty-Nester-Phase befinden. Zudem lässt sich ein Alterung der Bewohnerschaft erkennen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass „ […] der Umbruch der Quartiere aus den 1960er und 1970er Jahren kein singuläres Kapitel der Stadtentwicklung bleiben wird“ (Höger 2018: 12) und es in diesen Gebieten in den nächsten beiden Jahrzehnten zu einer zunehmenden Alterung der Erstbewohnergeneration sowie generationsbedingten Bewohnern-Wechseln kommen wird.
Abbildungen 24-26: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH.
Die Neubaugebiete aus den 2000er-Jahren stellen auch in demographischer Hinsicht die jüngsten Gebiete dar und werden von Familienhaushalten geprägt. Zugleich kann allerdings nicht von einer klaren Dominanz von Familienhaushalten gegenüber Zweipersonenhaushalten gesprochen werden. In Kombination mit der Altersstruktur kann man deuten, dass neben jungen Familien verstärkt auch weitere Nachfragergruppen, wie beispielsweise kinderlose Paare, im Einfamilienhaus-Segment auftreten. Zudem zeigt sich ein höherer Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Die vergleichsweise deutlich geringere Kaufkraft pro Haushalt ist voraussichtlich vor dem Hintergrund erhöhter Zahlungsverpflichtungen im Sinne von beispielsweise Krediten einzuordnen.
Abbildungen 27-29: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH.
In der Gesamtschau lassen sich die Ergebnisse insofern deuten, dass die soziodemographischen Entwicklungen in Einfamilienhausgebiete zum einen vom Lebens- und Familienzyklus der Bewohnerschaft bestimmt werden. Zum anderen deuten die Ergebnisse auf folgendes hin: Je reifer ein suburbanes Einfamilienhausgebiet wird, umso heterogener wird es in soziodemografischer Hinsicht. Dies könnte voraussichtlich darin begründet sein, dass die sich Phase des Bewohnerwechsel deutlich langsamer als der Aufbau vollzieht und dass sich die Nachfrage im 21. Jahrhundert entsprechend der Entwicklungen bei der Bevölkerungszusammensetzung und einem generellen Wandel der Lebensstile ausdifferenziert.
Clusteranalyse Einfamilienhausgebiete aus den 1950er bis 1970er Jahren
Die suburbanen Einfamilienhausgebiete aus den 1950er- bis 1970er-Jahren befinden sich in einer Umbruchphase, die sich in den zwei übergeordneten Trends der Alterung der Erstbewohnergeneration und einem einhergehenden Generationswechsel manifestiert. Durch deskriptive Statistiken konnten aufgezeigt werden, dass im Raum Bremen diese Grundtrends zwar erkennbar sind, sich aber insgesamt ein heterogenes Bild zeigt. Um weiterer Erkenntnisse über die Entwicklungen in diesen Gebieten zu erlangen, wurde eine hierarchische Clusteranalyse mit der Ward-Methode durchgeführt. Für die Bildung der Cluster wurden als Variablen die verschiedenen Haushaltsformen, die Seniorenquote (Personen ab 65 Jahre), der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund sowie die Kaufkraft pro Haushalt verwendet. Es konnten fünf Cluster gebildet werden.
Zu Beginn ist zunächst übergeordnet festzuhalten, dass bei drei von fünf Clustern eine generelle Differenzierung bzw. Heterogenität in soziodemographischer Hinsicht (Struktur der Altersgruppen und Haushaltsformen) zu erkennen ist. Lediglich die plakativ als “Schneller Wandel im klassischen Sinne” und “Allein im Eigenheim” benannten Cluster, weisen eine stärkere Homogenität hinsichtlich der Sozialstruktur auf.
Die Gruppierung “Schneller Wandel im klassischen Sinne” (15 von 51 Raster) weist dabei eine überdurchschnittlich starken Anstieg der Familienhaushalte zwischen 2005 bis 2017 mit +30% auf. In diesen Gebieten gibt es im Jahr 2017 im Mittel 70% Familienhaushalte, was deutlich über den Werten der anderen Gebiete liegt. In ihrer Lage liegen diese Gebiete tendenziell im weiter entfernten Umland.
Das Cluster “Allein im Eigenheim” mit dem höchsten Anteil an Einpersonenhaushalten umfasst 6 von 51 Rastern. Der Anteil an Einpersonenhaushalten ist hier im Mittel von 2005 mit 26% auf 56% im Jahr 2017 angestiegen. Analog dazu hat sich der Anteil an Zweipersonenhaushalten in diesem Zeitraum mehr als halbiert. In Kombination mit der Entwicklung der Altersklassen ist davon auszugehen, dass es sich hierbei oft um alleinstehende bzw. verwitwete Senioren handeln könnte.
Die Gruppierung mit der heterogensten Haushaltszusammensetzung umfasst 17 der 51 Rastern (Typ “ Die Heterogenen”). Im Jahr 2017 weisen diese im Mittel 27% Einpersonen-, 41% Zweipersonen- und 32% Familienhaushalte auf. Zudem zeigen diese Gebiete mit 26% einen leicht überdurchschnittlichen Anteil an Senioren auf. Weitere Bewohnerwechsel sind hier in den nächsten Jahren zu vermuten. Der Bewohnerwechsel erfolgt hier augenscheinlich deutlich langsamer und ausdifferenzierter gegenüber dem Cluster “Schneller Wandel im klassischen Sinne”.
Das Cluster mit dem höchsten Anteil bzw. Anstieg an Menschen mit Migrationshintergrund umfasst 4 von 51 Rastern und wurde “Soziale Ausdifferenzierung” genannt . Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist hier zwischen 2005 bis 2017 von unter 3% auf 10% angestiegen. In ihrer Lage zeichnen sich diese Raster durch eine Nähe zum Kernbereich von Bremen aus.
Die Gruppierung “Geld ist nicht alles” (9 von 51 Raster) weist mit knapp 47.980€ Kaufkraft pro Haushalt mit Abstand den geringsten Wert in diesem Kontext auf. Eine Auswertung von Satellitenbildern zeigt dabei, dass es sich hierbei um Gebiete handelt, die entweder eine periphere Lage aufweisen oder in Form einer Reihenhausbebauung stark verdichtet sind.
Abbildung 30: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Zensus 2011 & Microm GmbH. Kartengrundlage: Google Earth.
Hypothese 3 - Großwohnsiedlungen = Problemviertel?
Zur Untersuchung der Sozialstruktur in den Großwohnsiedlungen der beiden Untersuchungsräume wurden statistische Zusammenhänge (Korrelationen) des Anteils der Wohnungen in Gebäuden mit 13 oder mehr Wohnungen mit der Arbeitslosenquote, der Quote an Personen mit Migrationshintergrund sowie der Kaufkraft pro Haushalt für das Jahr 2017 berechnet. Die Ergebnisse der Korrelation bestätigen dabei die bestehenden Grundannahmen. In Großwohnsiedlungen wohnen generell mehr Arbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund. Des Weiteren besitzt die Bevölkerung hier im Vergleich zum restlichen suburbanen Raum eine geringere Kaufkraft pro Haushalt.
Fokussiert man den Blick weiter, so ist besonders auffällig, dass der Zusammenhang mit der Arbeitslosenquote in den Bremen deutlich stärker ist als in Dresden. Um die Sozialstruktur der Großwohnsiedlungen im suburbanen Raum der beiden Städte noch genauer analysieren zu können wurde eine Clusteranalyse durchgeführt. Diese ergab, dass wesentliche Unterschiede zwischen den Großwohnsiedlungen in Bremen und Dresden vorliegen. So bildet die Großwohnsiedlung neue Vahr in Bremen das erste Cluster (Typ "Soziale Herausforderungen"), welches im Vergleich zu den anderen beiden Clustern (welche in Dresden liegen) und zum gesamten suburbanen Raum einen deutlich höheren Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und Arbeitslosen aufweist. Cluster 2 (Typ "Familienzuwachs") und 3 (Typ "Kleine Haushalte") liegen beide in Dresden und unterscheiden sich insbesondere im Hinblick auf ihre Haushaltsstrukturen. Während Cluster 2 einen Zuzug von Familien vermuten lässt, dominieren in Cluster 3 Ein- und Zweipersonenhaushalte deutlich.
Insgesamt lassen die Ergebnisse der Clusteranalyse darauf schließen, dass die suburbanen Großwohnsiedlungen in Westdeutschland einem deutlich größeren Stigma unterliegen als die in Ostdeutschland, was mit stärkeren sozialen Herausforderungen verbunden ist.
Bremen
Dresden
Abbildung 31: Eigene Darstellungen, Datengrundlage Microm GmbH. Kartengrundlage: Google Earth.
FAZIT
Insgesamt konnten die Annahmen der Hypothesen eins bis drei durch die Untersuchungen in ihren Grundzügen bestätigt werden. Bezogen auf die erste Hypothese kann festgehalten werden, dass das Einfamilienhaus noch immer die dominante Wohnform im suburbanen Raum darstellt. Bei der Konzentration der Einfamilienhausgebiete zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Untersuchungsgebieten. In Bremen gibt es insgesamt mehr Raster mit einem hohen Anteil an Wohnungen in Einfamilienhausgebieten. In Dresden zeigt sich ein anderes Bild. Gerade rund um den urbanen Stadtkörper wiesen die Gebiete einen sehr niedrigen Anteil (unter 25%) an Wohnungen in Einfamilienhausgebieten auf.
Im Hinblick auf die Einfamilienhausgebiete kann resümiert werden, dass soziodemographischen Entwicklungen in Einfamilienhausgebiete zum einen vom Lebens- und Familienzyklus der Bewohnerschaft bestimmt werden. Allerdings lassen sich hier eher die Grundtrends erkennen, von umfassende “Entleerungs- oder Überalterungsprozesse” kann jedoch nicht die Rede sein. Zum anderen deuten die angestellten Untersuchungen darauf hin, dass sich suburbane Einfamilienhausgebiete im 21. Jahrhundert soziodemografisch verstärkt ausdifferenzieren.
Auch die Betrachtung der Großwohnsiedlungen zeigte wesentliche Unterschieden zwischen West- und Ostdeutschland auf. So konnte in der Clusteranalyse festgestellt werden, dass die Bremer Großwohnsiedlung ein eigenes Cluster (Typ "Soziale Herausforderungen") bildet, was insbesondere auf die Einkommensunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und die in Bremen deutlich höhere Quote an Menschen mit Migrationshintergrund zurückgeführt werden kann. Insgesamt unterstreicht dies die Annahme, dass Großwohnsiedlungen in Westdeutschland einem deutlich negativerem Stigma unterliegen als die in Ostdeutschland.
Abschließend kann als Empfehlung für die Planung festgehalten werden, dass es angesichts der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Kontext des 21. Jahrhunderts als erforderlich erscheint, das Wohnungsangebot der Nachfrageveränderungen und den Ansprüchen neuer Zielgruppen und Haushaltsformen anzupassen. Hierzu sollte neben dem Einfamilienhaus vor allem das Angebot im Geschosswohnungsbau ausgeweitet werden.
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