Das Seminar „Kassel unplugged“ wurde vom Fachgebiet Freiraumplanung im Sommersemester 2023 durchgeführt. Inhaltlich widmete sich das Seminar dem Thema der informellen Aneignung von Freiräumen im urbanen Kontext. Es handelt sich dabei meist um eine illegale Nutzung von Freiräumen, die auf Grund vielschichtiger Strukturen in einer Stadt entstehen können.
Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft
Die zunehmende Verstädterung bringt viele Chancen, aber auch Probleme mit sich. Städtische Armut und die Entwicklung von Slums sind in den Jahren zwischen 2001 und 2015 von 31,6% auf 33,2% in der Welt gestiegen (Ribbeck, 2008a). Die Dynamik, mit der sich die Städte, immer häufiger auch zu Megastädten, entwickeln, ist rasant und nicht immer nachvollziehbar. Weiterhin bleibt die Steuerung dieser Entwicklung bislang weitgehend aus. Zum Beispiel im Ausbau der städtischen Transportsysteme. Die Investitionskosten sind zu hoch, weshalb der Ausbau vernachlässigt wird (Ribbeck, 2008b). Die Veränderungen bedingt durch den Klimawandel sind massiv und heute noch nicht bis zuletzt abschätzbar. Damit einher geht die Verknappung der endlichen Ressourcen. Dies sind die wichtigsten Herausforderungen, global und regional betrachtet, denen wir uns in Zukunft stellen müssen (Neumann, 2018).
Auf Grund der zuvor genannten, aber auch noch weiteren Problematiken, entstehen immer wieder Bewegungen, sich den städtischen Raum anzueignen – ihn illegal zu besetzen. Dabei gibt es verschiedenste Motive: Armut, Platzmangel, Sicherung von Freiräumen, (...).
Dabei sind Urbane informelle Freiräume nicht nur die Slums der Entwicklungsländer – auch wenn das das vorherrschende Bild ist beim Betrachten dieses Freiraumtyps. Dieser Typ ist sehr vielschichtig und kommt auch in den Industrieländern Europas vor.
Christiania in Kopenhagen beispielsweise ist eine Stadt in der Stadt, die sich selbst organisiert, eigene Rechte formuliert und sogar eine Art Baurecht installiert hat. „1971 wurde das verlassene Militärgebiet im Bezirk Christianshavn von Hausbesetzern übernommen. Sie behaupteten, dass das Gebiet eine freie Stadt sein sollte, in der keine Mehrwertsteuer erhoben würde und wo ihre eigenen Gesetze gelten würden. In diesem alternativen Teil von Kopenhagen siedelten sich neue Siedler an, und das soziale Experiment einer Reihe freier Denker wurde zu einem festen Bestandteil der Stadt.“ (Olsen 2023)
Wohingegen das Bild der Slums von Indien und Afrika für die meisten präsent ist, ist eine solche Entwicklung in Europa, gar in Deutschland undenkbar – oder doch nicht?
Es gibt durchaus einige Beispiele von urbanen informellen Siedlungen in Europa und Deutschland. Beispielsweise das Teepeeland in Berlin war eine solche Zeltstadt. Sie hat sich auf Grund von Wohnungsmangel, finanziellen Nöten und dem Wunsch nach alternativen Lebensformen entwickelt. Eine innerstädtische Brache direkt an der Spree wurde so zu einer informellen Siedlung mit mehreren hundert selbstgebauten Unterkünften. Mittlerweile wurde die Siedlung geräumt und die Brache für eine andere Art der Stadtentwicklung durch Investoren genutzt.
Formen des Urban Gardenings sind ebenso als Urbane informelle Freiräume zu betrachten. Als eines der prominentesten Beispiele ist hier der Prinzessinnengarten in Berlin zu nennen. Aber auch weitere Projekte dieses Freiraumtyps, zum Teil mit dem Prinzessinnengarten als Vorbild, sind in Berlin und anderen Städten Deutschlands und Europa entstanden. Diese Formen der Freiraumnutzung entstehen meist durch eine kleine Gemeinschaft, die sich dann weiterentwickelt und durch viel ehrenamtliches Engagement belebt wird. So gibt es auch ein Beispiel aus Kassel, das Projekt „Essbare Stadt“. Ein gemeinnütziger Verein organisiert und arbeitet an der Entwicklung einer lebendigen und produktiven Stadtlandschaft im Kontext von urban gardening (Winnemuth 2023).
Das Seminar befasste sich mit allen Formen von urbanen informellen Freiräumen, deren Entstehungsgründe und mögliche Entwicklungspotentiale. Während des Seminars wurden Impulsvorträge, Kurzvorträge und längere Präsentationen zu den hier ausgestellten Themen gehalten. Die Plakate veranschaulichen dabei urbane informelle Freiräume unterschiedlichster Typen.
Der Raum, der hier während des Rundgangs bespielt wird, wurde von den Studierenden des Seminars selbst ausgewählt und für das Seminar als informeller Seminarraum genutzt. Während des Semesters wurden die Seminartage hier verbracht. Der Raum wurde umgestaltet und sich für diese Zwecke zunutze gemacht.
Quellenangaben:
OLSEN, Jan (2023): Christiania in Kopenhagen.
URL: https://www.visitdenmark.de/daenemark/erlebnisse/sehenswuerdigkeiten/christiania, Zugriff: 27.06.2023.
RIBBECK, Prof. Dr. Eckhart (2008a): Slums.
UN World Urbanization Prospects (2001): The 2001 Revision; UN-Habitat, Global Urban Observatory (2005). URL: https://www.bpb.de/internationales/weltweit/megastaedte/64768/slums, Zugriff 24.03.2021.
RIBBECK, Prof. Dr. Eckhart (2008b): Städtischer Transport.
URL: https://www.bpb.de/internationales/weltweit/megastaedte/64777/staedtischer-transport, Zugriff 24.03.2021.
WINNEMUTH, Karsten (2023): Essbare Stadt.
URL: https://essbare-stadt.de/wp/, Zugriff: 27.06.2023.