: SoSe 2020

Expert*innen

Schwerpunkte und Rahmenbedingungen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Kassel

Die befragten Expert*innen sprechen der Kultur- und Kreativwirtschaft eine hohe Bedeutung und wichtige Rolle in Kassel zu. Sie gehört aufgrund ihrer Beschäftigungszahlen und der Bruttowertschöpfung zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen der Stadt. Genauso relevant ist ihre Innovations- und Strahlkraft, die sich positiv auf andere Wirtschaftsbereiche auswirkt. Ihre kulturelle Arbeit wird als wichtiger Beitrag für einen offenen Umgang mit relevanten Themen einer diversen Stadtgesellschaft angesehen. 

Für die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft bietet Kassel viele wichtige Ankerinstitutionen. Außerhalb der beiden untersuchten Stadtteile wurden zum Beispiel die Kunsthochschule, das Kulturzentrum Schlachthof oder die documenta genannt.

Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass Kreativschaffende häufig andere Bedürfnisse haben als andere Berufsgruppen. So braucht es für viele Projekte günstige Arbeits- und Veranstaltungsräume, eine hohe Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume und die Möglichkeit zur eigenen Gestaltung der Räume. Die Arbeit von Kulturschaffenden wird auch als wichtig für das Image und die Experimentierfreudigkeit der Stadt angesehen und sei daher aus der Praxis der Stadtentwicklung nicht mehr wegzudenken.

 

Kassel als Standort für die Kultur- und Kreativwirtschaft

Kassel ist aus der Sicht vieler Expert*innen ein attraktiver Standort für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Zum einen ist hier der Anstieg der Mieten moderat, zum anderen war die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Kassel in den letzten zehn Jahren sehr positiv. Die Kasseler Stadtgesellschaft hat Interesse an der Kultur- und Kreativwirtschaft und empfindet diese als wesentlich für die Identität der Stadt. So unterstützen auch manche Unternehmen aus anderen Wirtschaftsbereichen die Kultur- und Kreativwirtschaft aktiv durch beispielsweise die Ausstellung von Gemälden in ihren Arbeitsräumen. Die Kreativwirtschaft ist auch ein wichtiger Standortfaktor der Stadt, denn sie trägt zu einem breiten und diversen Kultur- und Bildungsangebot bei. Mit der documenta hat Kassel eine der wichtigsten Kunstausstellungen weltweit. Sie ist ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt und bietet für Künstler*innen eine Präsentationsplattform. Neben der Kultur sind auch die Freizeitangebote als weiche Standortfaktoren sowie die unmittelbare Nähe zur Natur relevant. Als relevanter Standortfaktor ist außerdem die Forschung zu erwähnen. Hier spielt beispielsweise der Science Park eine Rolle. An der Schnittstelle zur Forschung und den anderen Wirtschaftsbereichen bieten sich für Kreative spannende Anknüpfungspunkte für gemeinsame Kooperationen an. Zu dieser Vernetzung mit den verschiedenen Bereichen leisten vor allem die Hochschulen einen Beitrag. Außerdem ist für viele Kreative die Größe Kassels ein Vorteil für ihren Beruf. Sie finden dort nicht zu viel Konkurrenz in ihrem Bereich. Eigene Ideen und Projekte gehen nicht so schnell in der lokalen Szene unter. Außerdem gibt es noch viele Freiräume zur Entwicklung der Branche.

 

Herausforderungen und Potentiale

Die Kultur- und Kreativwirtschaft in Kassel steht laut den Expert*innen vor wichtigen Herausforderungen: Insbesondere die Raumverfügbarkeiten sind für die weitere Entwicklung der Branche entscheidend. Obwohl bezahlbare Wohn- und Arbeitsräume in Kassel noch vorhanden sind, bleibt die fortwährende Suche nach geeigneten Orten mit passenden Ausstellungsräumen und Aufenthaltsmöglichkeiten ein Problem. Zudem wird von einem „positiven Fluch“ der Kultur- und Kreativwirtschaft als Pionier*innen der Standortentwicklung gesprochen: Die wiederbelebten Quartiere ziehen andere, kommerziellere Aktivitäten und vor allem neue kaufkräftigere Bewohner*innen an, welche oft kultur- und kreativwirtschaftliche Akteure verdrängen. Daraus ergibt sich die Frage, wie man als Stadt unter den gegenwärtigen Bedingungen Kreativquartiere erhalten und in ihrer Entwicklung unterstützen kann. Die Herausforderung besteht demnach darin, die existierenden eigenen Flächen effektiv zu nutzen und mit einem Gesamtkonzept die anderen Eigentümer zu überzeugen.

Auch wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen eine Rolle. Wie können Kreativschaffende in Kassel dauerhaft ihre Existenz sichern? Die verschiedenen Institutionen versuchen dafür mit Beratungsangeboten, zum Beispiel zur Existenzsicherung, eigene Veranstaltungen und Workshops Plattformen anzubieten. Ein Beispiel dafür ist der “Kreativwirtschaftstag Hessen”, den die Hessen Agentur jedes Jahr veranstaltet. Dennoch entwickeln viele Aktivitäten ein Eigenleben in den Vierteln. Die Institutionen sind bemüht auf sie einzugehen, erfahren aber oft erst im Verlauf dieser Projekte von diesen und tun sich schwer sie angepasst zu unterstützen.

 

Entwicklungen im Schillerviertel und im Vorderen Westen

Viele Expert*innen haben die beiden unterschiedlichen Entwicklungsprozesse, in denen sich die Quartiere befinden, herausgestellt. Einerseits hat der Vorderen Westen schon seit den 1980er Jahren einen Aufwertungsprozess durchlebt. Es fanden viele Neugestaltungen im öffentlichen Raum statt. Der Anteil an großen Wohngemeinschaften hat zugunsten von Eigentumswohnungen abgenommen. Das allgemeine Interesse von privaten Investor*innen dort Immobilien zu entwickeln ist gestiegen.

Dadurch ist ein Teil der Kultur- und Kreativschaffenden in andere Stadtteile gezogen. Andere sind geblieben und stellen immer noch Nischen und Räume mit hoher Aufenthaltsqualität bereit. Außerdem gibt es viele Bemühungen eine Durchmischung und Belebung des Quartiers sowie unter anderem der Ladenflächen herbeizuführen. Dies geschah zum Beispiel mit dem Förderprogramm “Lokale Ökonomie”. Durch die Umgestaltungen wurde vielfach die Ansiedlung von Kreativen befördert.

Während im Vorderen Westen eher etabliertere Kreative leben und arbeiten, ist das Schillerviertel erst seit ca. 2010 in den Fokus von Pionier*innen und jüngeren Kreativen gerückt. Als ehemaliges Bahnhofsviertel liegen heute viele Areale brach. Einige Erdgeschossflächen erfahren erst seit einigen Jahren durch private Projektgruppen in einem Bottom-Up Prozess Erstnutzungen. Viele Orte wie das Schiller-Carrèe werden so gerade durch gemischte Nutzungskonzepte wiederbelebt. Viele Vermieter*innen dieser Immobilien begrüßen diese Nutzergruppen als Mieter*innen und kooperieren mit ihnen zum Beispiel bei der Gestaltung von Arbeitsräumen.

Allgemein kann man sagen, dass beide Viertel aufgrund ihrer baulich-räumlichen Gegebenheiten für verschiedene Teilbereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft Möglichkeitsräume bieten.

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Zwischen Kreativquartier und Kulturfabrik

Zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Kassel

Vertretungsprofessorin

Dr. Janet Merkel

Benjamin Schubert

Carolin Kohl

Jan-Niklas Krause

Mathis Lepel

Philip Stöcker

Radmer van der Aalst