Semesterprojekt Master: SoSe 2021
Institut für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung

DIE NUTRIA - EINE EINFÜHRUNG

Vogelgezwitscher am Morgen, Waschbärlaute in der Nacht - nicht nur wir Menschen leben in der Stadt, sondern wir teilen uns den Raum mit einer Vielzahl an Tierarten. Zu diesen Tieren zählt in Deutschland auch zunehmend die Nutria. Das Nagetier kommt ursprünglich aus Südamerika und wurde Mitte des 20. Jahrhunderts nach Deutschland gebracht, um es wegen seines Pelzes zu züchten. Obwohl die Pelzzucht inzwischen der Geschichte angehört, konnte sich die Nutria hierzulande in wildlebenden Populationen etablieren. Dass wir unsere Städte mit Nutrias teilen, wird recht unterschiedlich wahrgenommen: während die zutraulichen Tiere bei einigen Menschen Freude und Neugier auslösen, gelten sie neben ihrem Status als Neozoen auch als invasive Art.

Fremde Plage oder tierische Chance? Was ist die Nutria aus Planungsperspektive denn nun?

Um dieser Frage nachgehen zu können haben wir drei Strategien entwickelt, wie man dem Vorkommen von Nutrias planerisch begegnen kann. Diesen Planungsstrategien liegen differenzierte Planungsverständnisse zugrunde, welche die Stellung des Menschen und dessen Beziehung zum Tier in der Planung reflektieren und hinterfragen. Für jede Strategie werden Planungsleitfaden erarbeitet, die zur Gestaltung des Zusammenlebens mit der Nutria beitragen sollen.

THEORETISCHER ZUGANG - MENSCH-TIER-BEZIEHUNG AUF PLANUNGSEBENE

RECHTLICHE EINORDNUNG DER NUTRIA IN DEUTSCHLAND

 

 

STECKBRIEF NUTRIA

 

 

HISTORISCHE DATEN ZUR VERBEREITUNG DER NUTRIA

ENTWICKLUNG DREIER PLANUNGSSTRATEGIEN ZUM UMGANG MIT DER NUTRIA

STRATEGIE 1 - NUTRIA-MANAGEMENT

 

 

 

 

NUTRIA-MANAGEMENT

“Nutria-Plage” (Oelschlaeger (AfD) 2018) ist eine der vielen Aussagen, die zu Ohren kommen, wenn über die eingewanderte und etablierte Art, den Nutrias, gesprochen wird. Diese Haltung gegenüber den Neozoen bildet die Grundlage der ersten Planungsstrategie.

Heute werden die Nutrias aufgrund von der Unterhölungen von Gewässerufern, welche zur Instabilität der Erdoberflächen führen und Gefährdung des Hochwasserschutzes, häufig als Schädlinge angesehen (Wörner 2015, S.14). Auch durch die mögliche Verdrängung heimischer Arten, werden die Nutrias akribisch bejagt, wodurch sich eine Dezimierung des Bestandes erhofft wird. Im nordrhein-westpfälischen Kleve wird sogar von einer Schwanzprämie von bis zu 7,50€ gesprochen. Nun sollte sich jedoch gefragt werden, wie mit dem Problem nachhaltig umgegangen werden kann. Neben der Einschränkung des Bestandes durch Fütterungsverbote und Habitatsmodifikationen, werden anhand von Köderungen und der Jagd die Bestände reduziert. Als nachhaltiger Lösungsvorschlag ist die Nutria als Schädling zu einem Nutztier für die Menschheit umzudenken. Sobald man die Nutria als Ressource für Fleisch und Pelz betrachtet, so wird nicht nur ein Schädling für unsere Umwelt beseitigt, sondern ein Mehrwert für die Menschheit geschaffen (Beuting 2017).

Doch ist die Nutria als Ressource eine rentable Strategie für die heutige Bevölkerung?

STRATEGIE 2 - ZUSAMMENLEBEN

 

 

 

 

ZUSAMMENLEBEN NUTRIA und MENSCH

Ausgehend vom gegenwärtigen Planungsverständnis wird in der zweiten Strategie das Zusammenleben von Nutria und Mensch angestrebt. Hierbei ist es das Ziel, den Lebensraum für beide zu ermöglichen und diesen durch Planung zu gestalten. 

Durch Wissensvermittlung und sachlichen Informationsaustausch auch unter den planenden Akteur:innen, wird eine Basis für Akzeptanz und Verständnis gegenüber Neozoen geschaffen. 

Durch planerische Maßnahmen wie Fütterungsrestriktionen oder gezielte Sterilisation kann in den Bestand der Nutrias, wenn nicht mehr vermeidbar, eingegriffen werden (Kienle o.J.). Durch Beteiligung der verschiedenen Akteure und der Wissensvermittlung in der Bevölkerung wird angestrebt ein ausgewogenes Verhältnis der Lebensräume zu ermöglichen. 

Die Strategie verfolgt den Ansatz die eher traditionellen Naturschutzpositionen weiterzudenken und zu entwickeln, sodass es zu einem neuen Verständnis gegenüber fremden Arten kommt und diesen ebenso eine Daseinsberechtigung zugesprochen wird. 



STRATEGIE 3: MORE THAN HUMAN

 

 

 

 

MORE THAN HUMAN

Die dritte Planungsstrategie steht unter dem Motto “More than human”. Die Grundsätze anthropozentrischer Planung werden hinterfragt und Tieren und ihrer tierlichen Agency eine größere Bedeutung zugestanden, als es im aktuellen Planungsverständnis der Fall ist. Die Planungsstrategie baut auf einem liberal-progressiven Naturschutzansatz auf. Natur wird hierbei als ständig im Wandel begriffen und beinhaltet immer auch dynamische Veränderungsprozesse (Körner 2004, S. 37ff.).

Diese Gestaltung der Umwelt soll in einem “more than human”-Planungsverständnis nicht nur dem Menschen obliegen - die Planungshoheit soll vielmehr auf das natürliche Wirken von Tieren wie der Nutria erweitert werden. Die menschengemachte Planung zielt deswegen nicht primär auf die Optimierung des urbanen Raumes aus anthropozentrischer Sicht ab, sondern passt ihr Handeln reaktiv an die Veränderungsprozesse auf räumlicher Ebene an. Dem Tier wird dabei zugestanden, den Raum im Sinne seiner natürlichen Lebensweise mitzugestalten. Zu den Planungsinstrumenten zählen der alternative Stadtumbau mit experimentellen, baulichen Maßnahmen, die möglichst im Einklang mit tierischen Lebensweisen stehen. Weiterhin lassen sich auf planerischer Ebene Eingriffsverbote in die natürliche Lebensweise der Tiere und Entschädigungszahlungen für die Konsequenzen tierischen Handelns etablieren.

REFLEXION

Wir begreifen die Auseinandersetzung mit der Nutria vor allem als tierische Chance für die Planung. Dabei ist es besonders relevant, ein Verständnis dafür zu schaffen, dass sich anthropozentrische Planung nicht nur auf den Menschen auswirkt, sondern auch auf andere Lebewesen. Wir plädieren für einen integrierten Planungsansatz, welcher das Wohl und die natürliche Lebensweise von Tieren klar einbezieht.

LITERATUR

Beuting, S.; Sonntag S. (2017): Neues Essen etablieren. Bock auf Nutria-Burger?. Deutschlandfunk Nova. URL: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/essen-nutrias-koennte-man-auch-essen

Büscher, B. und R. Fletcher (2019): Towards Convivial Conservation. In: Conservation and Society 17(3), S. 283-296.

Gbdedomon, R.C., Salako, V.K. und M.A. Schlaepfer (2020): Diverse views among scientists on non-native species. In: NeoBiota 54, S. 49-69.

Heger, T. (2020): Book Review. The Conservation Revolution: Radical Ideas for Saving Nature beyond the Anthropocene, B. Büscher & R. Fletcher. In: Basic and Applied Ecology 47, S. 20-22.

Hinchliffe, S. und S. Whatmore (2006): Living Cities: Towards a Politics of Conviviality. In: Science as Culture 15 (2), S. 123-138.

Kienle, H. (o.J.): Nutria? Was ist das denn? URL: https://mensch-tier.net/wp-content/uploads/2021/01/Info-Flyer-Nutria.pdf. Aufgerufen am 14.07.21.

Körner, S. (2004): Das Heimische und das Fremde. Zur kulturellen Interpretation eines ökologischen Problems in der sich verändernden Landschaft. In: Denkanstöße, 1, S. 30.43.

Oelschläger, A. (2018): Schriftliche Kleine Anfrage. AfD. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Drucksache 21/15540

Wirth, S., Laue, A., Kurth, M., Dornenzweig, K., Bossert, L. und K. Balgar (Hrsg.)(2015): Das Handeln der Tiere. Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal-Studies. Bielefeld.

Wörner, F. (2015): Die Nutria. Notizen zu einem Neubürger am Gewässerrand. Lebensräume Ebertseifen e.V. Niederfischbach. S.8-14.